Hat ein Urteil oder z. B. ein gerichtlich geschlossener Vergleich einen vollstreckungsfähigen Inhalt, so wird bei Gericht die vollstreckbare Ausfertigung (Ausfertigung mit Vollstreckungsklausel) – je nach Abschluss des Verfahrens – auch mit Zustellungsklausel beantragt, um die Gläubigeransprüche zwangsweise durchsetzen zu können, wenn der Schuldner diese „nicht freiwillig“ erfüllt.
Der Gläubiger erhält dann eine vollstreckbare Ausfertigung, die auch regelmäßig für die Bedürfnisse des Gläubigers ausreicht. Aber es gibt auch Fälle, in denen eine weitere (zweite) Ausfertigung sinnvoll oder notwendig wird.
1. Verlust des Ursprungstitels
Der wohl bekannteste Grund für die Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung ist der Verlust des Titels. Der Verlust hat in der Regel zur Folge, dass der ursprüngliche Titel zwar noch vorhanden ist, aber niemand weiß, wo er sich befindet. Möglicherweise ist er auf dem (Post-)Weg von Gläubiger zu Gerichtsvollzieher oder Vollstreckungsgericht verloren gegangen oder einfach nur „unter einem Aktenstapel verschwunden“. Aber der Titel fehlt und eine weitere (zweite) Ausfertigung ist erforderlich, damit der Gläubiger seine Forderung durchsetzen kann.
2. Gesamtschuldnerschaft
Wurden die Schuldner als Gesamtschuldner verurteilt, d. h. sie sind gemeinschaftlich zur Zahlung an den Gläubiger verpflichtet, so kann die gesamte Forderung einschließlich Zinsen, sonstiger Nebenforderungen und Auslagen für dieses Verfahren gegen jeden einzelnen Schuldner geltend gemacht werden, bis die Zahlung bewirkt ist. Wie der Ausgleich für die Schuldner im Innenverhältnis aussieht, ist für den Gläubiger ohne Bedeutung.
Auch wenn der Gläubiger „wählen“ kann, gegen welchen der Schuldner er wo und mit welcher Maßnahme vollstreckt, kann er sich für die „gleichzeitige“ Vollstreckung gegen beide Gläubiger entscheiden. Schwierig wird es, wenn die Gesamtschuldner nicht denselben Wohn- oder Geschäftssitz haben (wie das z. B. bei Eheleuten oder bei gleichberechtigten Geschäftsführern eines Unternehmens der Fall ist). Denn bei abweichender Wohn-/Geschäftssitzen ergeben sich auch unterschiedliche Zuständigkeiten. Um die Rechte des Gläubigers hier zu wahren, ist der vorstehende Sachverhalt ebenfalls eine Begründung für eine weitere vollstreckbare Ausfertigung.
3. Ein Titel gegen mehrere Schuldner mit verschiedenen Ansprüchen
Aufgrund eines bestimmten Sachzusammenhangs kann es auch Titel geben, in denen zugunstendes Gläubigers gegen mehrere Schuldner verschiedene Ansprüche ausgeurteilt wurden. Dann kann sich der Gläubiger wegen der jeweiligen Forderung – anders als bei der Gesamtschuldnerschaft – nur gezielt an den jeweiligen Schuldner der entsprechenden Forderung halten. Und auch hier ergeben sich regelmäßig wegen abweichender Wohn-/Geschäftsanschriften unterschiedliche Zuständigkeiten im Rahmen der Zwangsvollstreckung, was eine weitere Ausfertigung (je Schuldner) begründet.
4. Unterschiedliche Vollstreckungsmaßnahmen
Gerade in der Zwangsvollstreckung ist schnelles Handeln erforderlich, um möglichen anderen Gläubigern zuvorzukommen. Darauf zu warten, dass eine Vollstreckungsmaßnahme abgeschlossen und der Titel zurückgelaufen ist, bevor auf einen weiteren (bekannten) Vermögenswert zugegriffen wird, kann für den Gläubiger bedeuten, dass er hieraus nicht mehr befriedigt wird, weil z. B. ein anderer Gläubiger schneller war.
Während aber die erste vollstreckbare Ausfertigung für eine Vollstreckungsmaßnahme (z. B. Pfändung) verwendet wird, kann der Gläubiger eine weitere Ausfertigung für eine andere Vollstreckungsmaßnehme (z. B. Zwangsversteigerung) beantragen und erhalten.
5. Fehlerhafte Herausgabe des nicht erledigten Titels durch den Gerichtsvollzieher
Nicht alltäglich, aber auch nicht gerade selten ist der Fall, dass dem Schuldner ein Titel (durch den Gerichtsvollzieher) nach einer vermeintlich abgeschlossenen Zwangsvollstreckung (angebliche Erfüllung) herausgegeben wird, obwohl Ansprüche noch bestehen. Das kann z. B. der Fall sein, wenn bisherige Vollstreckungskosten und/oder Zinsen nicht korrekt aufgeführt waren oder wenn neben der Forderung, wegen der der Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung betriebt, noch weitere Ansprüche bestehen, die vom Auftrag des Gerichtsvollziehers nicht umfasst waren. Dann liegt ebenfalls ein begründetes Interesse des Gläubigers an der Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung vor.
Ausnahme:
Das nachweislich unbrauchbare oder zerstörte Dokument
Ist die ursprüngliche vollstreckbare Ausfertigung z. B. beschädigt oder unbrauchbar geworden, kann diese gegen Erteilung einer neuen vollstreckbaren Ausfertigung an das Gericht zurückgegeben werden. Der Gläubiger erhält dann eine neue vollstreckbare Ausfertigung, bei der es sich aber nicht um eine weitere vollstreckbare Ausfertigung gem. § 733 ZPO handelt.
Antrag, Begründung, Verfahrensweg
Aber: Bekommt man eine zweite Ausfertigung „einfach so“?
Zunächst einmal gilt § 733 ZPO, der den Schuldner schützen soll. Danach kann der Schuldner vor Erteilung einer weiteren Ausfertigung angehört werden kann […].
Hinweis:
Hierbei handelt es sich um eine Kann-Vorschrift. Die Anhörung ist also nicht zwingend erforderlich und erfolgt regelmäßig nur, wenn Zweifel an der Begründung des Gläubigers bestehen. Zweifel bzw. entgegenstehende Interessen des Schuldners könnten z. B. schikanöse Verhaltensweisen des Gläubigers sein. Deshalb sollte die Begründung sorgfältig erfolgen. In dringenden Fällen ist von der Anhörung ebenfalls abzusehen.
Unabhängig davon, ob der Schuldner vorher angehört wird oder nicht, hat ihn die Geschäftsstelle von der Erteilung der weiteren Ausfertigung – die ausdrücklich als solche zu bezeichnen ist – in Kenntnis zu setzen. Die Vorschrift des § 733 ZPO dient dem Schutz des Schuldners davor, dass er – vielleicht viele Jahre später – nach Erfüllung und Entwertung des Ursprungstitels erneut und unberechtigt in Anspruch genommen wird: Weiß er von der zweiten Ausfertigung, kann er diese im Zuge der Erledigung der ersten Ausfertigung direkt beim Gläubiger einfordern; vergisst er dies, so kann Jahre später unter Hinweis auf die Bezeichnung des weiteren Titels als „weitere Ausfertigung“ die Angelegenheit einfach aufgeklärt und erledigt werden.
Wie sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, muss der Gläubiger unter Bezugnahme auf die Existenz des entsprechenden Vollstreckungstitels ein berechtigtes Interesse an der Erteilung einer weiteren Ausfertigung nachweisen, einen entsprechenden Antrag stellen und diesen sorgfältig begründen, ggf. auch den Sachverhalt glaubhaft machen (z. B. durch anwaltliche oder eidesstattliche Versicherung bei Verlust der ersten Ausfertigung).
Die Zuständigkeit – an wen der entsprechende Antrag zu richten ist – hängt letztlich von der Art des Titels ab: Für die Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung eines Urteils oder eines gerichtlichen Vergleichs, ist das Prozessgericht (Rechtspfleger) des Erkenntnisverfahrens zuständig; bei einem Vollstreckungsbescheid der Rechtspfleger des Mahngerichts, das den Vollstreckungsbescheid erlassen hat und bei einer notariellen Urkunde der Notar, der die Urkunde verwahrt (§ 797 ZPO).
Kosten und Gebühren
Der Antrag auf Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung ist ein gebührenrechtlicher Vollstreckungsakt und nach § 18 Abs. 1 Nr. 5 ZPO eine besondere Angelegenheit. Der Rechtsanwalt verdient – unabhängig davon, ob er im vorangegangenen Erkenntnisverfahren verfahrensbevollmächtigt war oder nicht –für den Antrag auf Erteilung der weiteren vollstreckbaren Ausfertigung eine 0,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RV aus dem Wert des zu vollstreckenden Anspruchs. Zudem entsteht eine Gerichtsgebühr nach Nr. 2110 GKG-KV in Höhe von (derzeit) 22,00 EUR oder – wenn die weitere Ausfertigung durch den Notar erteilt wird – eine Gebühr nach Nr. Nr. 23804 GNotKG-KV in Höhe von ebenfalls 22,00 EUR.
Wer letztlich die Kosten und Gebühren zu tragen hat, hängt vom Sachverhalt ab: Hat der Gläubiger den Verlust der ersten vollstreckbaren Ausfertigung zu verantworten (z. B. Verlust des Titels oder Herausgabe, ohne dass dieser erfüllt ist), hat er die hierfür entstehenden Kosten und Gebühren zu übernehmen.
Erfordert aber der Verfahrensweg mehrere vollstreckbare Ausfertigungen, müssen also mehrere Vollstreckungsmaßnahmen nebeneinander eingeleitet werden (was an einer Schuldnermehrzahl, aber auch an den zu ergreifenden Maßnahmen liegen kann), dann handelt es sich bei den Gebühren und Kosten um notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung und können gegenüber dem Schuldner geltend gemacht werden.
Fazit:
Es gibt verschiedene Gründe, die den Antrag auf Erteilung einer weiteren Ausfertigung begründen. Dabei geht es nicht immer nur um den Verlust des Titels. Auch z. B. die richtige Vollstreckungstaktik kann eine weitere vollstreckbare Ausfertigung rechtfertigen.
Bild: Adobe Stock/©Coloures-Pic
Gebührenexperte und Rechtsanwalt Norbert Schneider hat bereits zahlreiche Werke zum RVG veröffentlicht, u. a. Fälle und Lösungen zum RVG, AnwaltKommentar RVG, Streitwertkommentar und RVG Praxiswissen. Er ist außerdem Autor der Fachinfo-Tabelle Gerichtsbezirke 2024 zur Reisekostenabrechnung auswärtiger Anwältinnen und Anwälte und Mitherausgeber der AGS – Zeitschrift für das gesamte Gebührenrecht sowie der NZFam.