herabsetzung pfändungsfreigrenze

Herabsetzung der Pfändungsfreigrenzen bei deliktischen Forderungen

Der Titel liegt vor, der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in den Lohn des Schuldners ist vom Gericht erlassen, und dieser auch dem Arbeitgeber (= Drittschuldner) zugestellt worden. Der Arbeitgeber hat die Forderung als solche anerkannt, kann und darf aber keine Zahlungen an den Gläubiger leisten, weil der auszuzahlende Nettolohn innerhalb der Pfändungsfreigrenzen liegt.

Pfändungsfreigrenzen dienen dem Schutz des Existenzminimums von Schuldner:innen vor finanzieller Notlage und existenzieller Bedrohung. Die den Schuldner:innen zu belassenden Beträge sind – unter Anpassung an die jeweilige Entwicklung – gesetzlich festgelegt, um sicherzustellen, dass Menschen trotz finanzieller Engpässe ihre grundlegenden (Lebens-)Bedürfnisse decken, also für sich und ihre Familienangehörigen sorgen können. Dies ist in § 850c ZPO geregelt und grundsätzlich nachvollziehbar und verständlich. Je nach Fallgestaltung stellt sich aber auch die Frage nach der „gefühlten“ Gerechtigkeit:

Sind alle Schuldner gleich?

Wie kann es sein, dass Schuldner:innen, die vorsätzlich oder fahrlässig (= deliktisch) einen Schaden verursacht haben, die gleiche finanzielle Schonung genießen sollten wie andere Menschen, die unverschuldet in finanzielle Not geraten sind? Oder anders gefragt: Ist es nicht unfair, wenn Schuldner:innen, die durch eigenes Fehlverhalten in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, weiterhin von den doch großzügigen Pfändungsfreigrenzen profitieren?
Deliktsrechtliche Ansprüche ergeben sich in der Regel aus rechtswidrigem Verhalten, z. B. Schadensersatzansprüche wegen Verletzung. Deliktische Handlungen beeinträchtigen stets die Rechte und Interessen einer anderen Partei (Geschädigter), die aufgrund der Verletzung einen Anspruch auf angemessene Entschädigung hat. Haben die daraus resultierenden Forderungen nicht möglicherweise eine „andere Qualität“ als beispielsweise die Forderung aufgrund einer nicht bezahlten Rechnung? „Gefühlt“ kann das im Allgemeinen sicher bejaht werden.

Besserstellung des Deliktsgläubigers

Entschädigungszahlungen aus deliktischem Handeln können wie „normale Forderungen“ wegen der gesetzlichen Verpflichtung zur Anwendung der Pfändungstabelle nach § 850c ZPO jedoch oft nicht realisiert werden: Die Pfändungsfreigrenzen schützen den Schuldner, der ohnehin über ein hohes Einkommen verfügt. Der Gläubiger – unabhängig davon, ob seine Forderung deliktischer Natur ist oder nicht – geht leer aus. Natürlich ist dies keinem Gläubiger gegenüber gerecht, denn jeder möchte seine Forderung realisiert sehen. Aber gerade wegen der subjektiv doch „anderen Qualität“ der Deliktsforderung, fühlt sich das für den geschädigten Gläubiger noch einmal anders an.

Um hier eine gewisse Gerechtigkeit zu schaffen, hat der Gesetzgeber die Regelungen des § 850f Abs. 2 ZPO eingeführt: Diese Vorschrift gibt dem Gläubiger einer deliktischen Forderung die Möglichkeit, seine Forderung mit einer Besserstellung zu befriedigen. Er kann also eine Privilegierung erhalten und auf Antrag eine (dann nur für ihn geltende) Herabsetzung der Pfändungsfreigrenze erreichen. Damit wird der Gläubiger bessergestellt und bevorzugt entschädigt, die Gerechtigkeit wird gestärkt und als Nebeneffekt kann die Herabsetzung der Pfändungsfreigrenzen für den Schuldner eine abschreckende Wirkung haben, sich in Zukunft verantwortungsbewusster zu verhalten.

Hinweis:

Um die bestehenden Möglichkeiten im Rahmen der Pfändung auszuschöpfen, reicht es nicht aus, dass die Forderung durch vorsätzliches oder fahrlässiges (=deliktisches) Handeln entstanden ist, sondern es ist ein sogenannter Deliktstitel erforderlich, der im Rahmen des Erkenntnisverfahrens durch einen zusätzlichen Feststellungsantrag erreicht werden kann. Hierbei ist zu beachten, dass eine deliktische Forderung nicht (mehr) im Rahmen des Mahnverfahrens tituliert werden kann, da ein solches Verfahren nur für reine Geldforderungen genutzt werden kann.

Folgen des Herabsetzungsantrags

Das Vollstreckungsgericht wird auf Antrag des Gläubigers (§ 850f Abs. 2 ZPO) den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens soweit herabsetzen, dass dem Schuldner nur so viel verbleibt, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten benötigt (das ist dann fiktiv nach dem SGB II bzw. SGB XII zu bestimmen). Die allgemeingültigen Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO finden dann keine Anwendung.

Der Beschluss auf Herabsetzung hat neben den besseren Realisierungsmöglichkeiten in Anbetracht des höheren abzuführenden Betrages für den pfändenden Deliktsgläubiger den Effekt, dass selbst dann, wenn die Forderung des Schuldners bereits vorrangig von anderen Gläubigern gepfändet wurde, dem nachrangigen Gläubiger, der wegen dieser privilegierten Forderung vollstreckt, der Differenzbetrag zwischen der vom Vollstreckungsgericht festgesetzten Pfändungsgrenze und der normalen Pfändungsfreigrenze zusteht.

Beispiel:

Der Gläubiger hat einen Titel, in dem neben der Forderung festgestellt wird, dass die Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung resultiert. Er beantragt einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in das Gehalt des Schuldners. Der Arbeitgeber teilt mit, dass der Schuldner (ledig, keine Unterhaltsverpflichtungen) über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 2.100,00 EUR verfügt, vorrangig aber ein Pfändungsgläubiger P mit einer Forderung in Höhe von 20.000,00 EUR bedient wird.

Ergebnis: Der Gläubiger G geht zunächst leer aus; der pfändbare Teil des Einkommens in Höhe von 488,40 EUR fließt vorrangig dem bevorrechtigten Pfändungsgläubiger P zu.

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Fortsetzung des Beispiels:

Der Gläubiger G beantragt beim Vollstreckungsgericht unter Berufung auf den Deliktstitel die Herabsetzung des pfandfreien Betrages, der mit 1.200,00 EUR bestimmt wird.

Der vorrangige Pfändungsgläubiger P erhält nach wie vor seine monatliche Ausschüttung in Höhe von 488,40 EUR, der nachrangige Gläubiger G mit dem Deliktstitel erhält die Differenz zwischen den beiden Pfändungsgrenzen, hier wären das 411,60 EUR monatlich:

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Im Ergebnis wird der Deliktsgläubiger aus dem Lohn des Schuldners befriedigt, obwohl vorrangige Pfändungen in Höhe von rund 20.000,00 EUR vorliegen, ohne dass der vorrangige Gläubiger in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird.

Fazit

Die Herabsetzung der Pfändungsfreigrenze wegen einer deliktischen Forderung verlangt einen ausdrücklichen Deliktstitel, also einen Titel, in dem zugleich festgestellt wird, dass die Forderung aus einem einer unerlaubten Handlung herrührt. Liegt ein entsprechender Titel vor, können die Pfändungschancen erheblich erweitert werden, selbst wenn vorrangige (normale) Pfändungen existieren.

Bild: Adobe Stock/©Finanzfoto

Autor

  • carmen-wolf

    Carmen Wolf ist gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte mit Weiterbildung zur Rechtswirtin und zur Kanzleimanagerin, Ausbilderin für Rechtsanwaltsfachangestellte sowie Büroleiterin der Koblenzer Rechtsanwaltskanzlei FROMM. Dort ist sie mit allen Bereichen der Kanzleipraxis betraut. Sie hat mehrere Fachbücher, wie „Arbeitshilfen für Rechtsanwaltsfachangestellte“ und „RVG für Einsteiger“ verfasst und ist Herausgeberin des „Infobriefs anwaltbüro“.

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